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Dr.in Frederike Fellendorf
im Interview

Frau Dr.in Fellendorf arbeitet an der Spezialambulanz für Patientinnen und Patienten mit Bipolar Affektiver Erkrankung der Medizinischen Universität Graz. Im Interview spricht sie über Psychoedukation im Allgemeinen und den Stellenwert von Psychoedukation an der Spezialambulanz.

Dr. Frederike Fellendorf

Frau Dr.in Fellendorf, was ist Psychoedukation und was soll mit Psychoedukation erreicht werden?

Die Psychoedukation stellt eine Wissensvermittlung über die eigene psychische oder körperliche Erkrankung dar. Durch eine Aufklärung soll ein biopsychosoziales Krankheitsverständnis bei den Betroffenen gefördert werden. Dies geschieht durch Informationsvermittlung über die Ursachen, die Symptome, den möglichen Verlauf und auch über die möglichen Behandlungsansätze.

Welchen Stellenwert hat Psychoedukation in der allgemeinen Versorgungsstruktur?

Generell ist es bei allen chronischen Erkrankungen wichtig sich mit dem Störungsbild genauer auseinanderzusetzen. Im niedergelassenen Bereich gibt es dafür leider oft nur wenig Zeit. Im Bezug auf psychische Erkrankungen wird Aufklärung häufig auch von der Psychotherapeutin beziehungsweise dem Psychotherapeuten übernommen, da sie einen wichtigen Ansatzpunkt in einer Therapie darstellt.

Frau Dr.in Fellendorf, welchen Stellenwert räumen Sie persönlich der Psychoedukation ein?

Ich persönlich beschäftige mich mit der Behandlung von Menschen mit einer Bipolar Affektiver Erkrankung. Meiner Erfahrung nach können Patientinnen und Patienten, die sich mit ihrer Erkrankung intensiv auseinandersetzen, diese auch besser akzeptieren. Wir wissen, dass Betroffene mit einem guten Krankheitsverständnis weniger beziehungsweise mildere Phasen durchleben und auch weniger oft im Krankenhaus behandelt werden müssen. Deswegen räume ich der Psychoedukation in symptomfreien Phasen, zu denen wir auch euthyme Phasen sagen, einen besonderen Stellenwert ein. Im Sinn der Krankheits-Akzeptanz halte ich es auch für wichtig, dass sich die Betroffenen mit dem chronischen Aspekt der Erkrankung und mit der Möglichkeit weiterer Krankheitsepisoden auseinandersetzen.

Die Spezialambulanz für Bipolar Affektive Erkrankungen der Med Uni Graz hat ein spezielles Psychoedukations-Angebot für Patientinnen und Patienten. Was dürfen wir uns darunter vorstellen?

Wir bieten eine wöchentliche Gruppen-Psychoedukation an, die in zwölf klar strukturierten Einheiten von geschulten MitarbeiterInnen durchgeführt wird. Dort lernen bipolar Erkrankte alles, was sie über mögliche Ursachen, häufige Frühwarnzeichen, den Krankheitsverlauf, über typische Symptome bei Depression und Manie und über die medikamentösen sowie psychotherapeutischen Behandlungsansätzen wissen sollten, um danach mit der Erkrankung besser umgehen zu können. Im Rahmen der Gruppensitzungen kann auch ein Austausch mit anderen Betroffenen erfolgen. Des Weiteren bieten wir Psychoedukation in Einzelsitzungen im Rahmen von ärztlichen Terminen an. Manchmal empfiehlt es sich, solche Termine gemeinsam mit engen Vertrauten aus dem Familien- oder Freundeskreis wahrzunehmen, um ein gemeinsames Gespräch zu führen.

Ist das Erkennen von Frühwarnsymptomen und das Erstellen eines Krisenplans ein Teil der psychoedukativen Sitzungen?

Da die Frühwarnzeichen sich von Person zu Person unterschiedlich darstellen ist es in Gruppensitzungen oft schwierig auf Einzelne im Detail einzugehen. Das Erkennen von individuellen Symptomen, die am Beginn einer depressiven beziehungweise manischen Phasen auftreten, ist oft ein langer Lernprozess und daher Bestandteil einer längerfristigen Therapie bei einer vertrauten Ärztin/einem Arzt beziehungsweise einer/einem TherapeutIn. Wenn erst einmal die Akzeptanz und das Bewusstsein für die eigenen Frühwarnsymptome besteht, ist das Erstellen eines Krisenplans meiner Meinung nach sehr wichtig. Dieser sollte gemeinsam mit engen Vertrauten in Anwesenheit einer neutralen Person, beispielsweise der/des TherapeutIn, schriftlich festgehalten werden.

Ist Psychoedukation auch für Angehörige sinnvoll?

Da die Bipolare Erkrankung nicht nur die/den Erkrankte/n betrifft, sondern auch Auswirkungen auf das Leben des Umfelds hat, ist es meiner Meinung nach wichtig, dass auch Angehörige sich mit der Erkrankung näher auseinandersetzen. Sowohl tiefe Traurigkeit und Antriebsverminderung in depressiven Phasen, als auch grenzüberschreitende Euphorie sind für Menschen aus dem nahen Umfeld belastend. Auch in den symptomfreien Phasen muss oft viel Geduld aufgewendet werden um Konsequenzen aus den vorangegangenen Phasen aufzuarbeiten. Neben den Erkrankten müssen auch Angehörige die Krankheit akzeptieren und lernen, mit ihren Auswirkungen umzugehen. Es hat sich gezeigt, dass das Umfeld einen positiven Einfluss auf den Verlauf ausüben kann.

Frau Dr.in Fellendorf, zum Abschluss: Was würden Sie Patientinnen und Patienten mit einer Bipolaren Erkrankung noch gerne mit auf den Weg geben?

Egal ob im Rahmen der Gruppen-Psychoedukation bei uns, einer Psychotherapie oder durch eigenständiges Recherchieren in Büchern beziehungsweise im Internet: Das Auseinandersetzen mit der eigenen Erkrankung ist nach der Diagnosestellung und während des gesamten Verlaufs äußerst wichtig. Wenn die Akzeptanz für die Bipolare Erkrankung geschaffen ist, können alle Beteiligten gemeinsam an einer optimale Behandlung arbeiten.

„Das Auseinandersetzen mit der eigenen Erkrankung ist nach der Diagnosestellung und während des gesamten Verlaufs äußerst wichtig.“


Dr.in Frederike Fellendorf